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17. 11. 2011

BRÜDERLE-Interview für das "Capital"

BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab dem "Capital" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Steffen Klusmann:

Frage: Herr Brüderle, Sie sind einer der letzten Bannerträger liberaler Prinzipien. Möchten Sie da nicht manchmal aus der Koalitionsdisziplin ausbrechen und Klartext reden?

BRÜDERLE: Am wichtigsten sind klare Entscheidungen und die haben wir gerade getroffen. In einer Koalition ist es normal, dass jeder Partner einigungsbereit sein muss. Entscheidend ist, dass die Richtung stimmt. Und da kann ich nur sagen: Deutschland steht gut da. Wir haben nach wie vor ein stabiles Wachstum und eine sehr gute Lage am Arbeitsmarkt.
Und jetzt sorgen wir in der Koalition dafür, dass die Eurozone neue Stabilitätsmechanismen bekommt. Wir brauchen einen neuen Stabilitätspakt für Europa mit harten Kriterien und Auflagen. Wer die nicht erfüllt, muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Das kann dann auch heißen, dass am Ende nicht mehr alle mit dabei sind.

Frage: Hört sich nach einem logischen Plan an. Nur werden Sie für den nach jetziger Lage kaum genug Mitstreiter finden. Die Südeuropäer kämpfen derzeit ums nackte Überleben.

BRÜDERLE: Zwei Geldentwertungen haben sich tief ins Bewusstsein von uns Deutschen eingeprägt. Wir haben eine besondere Sensibilität für die Wertstabilität unseres Geldes, und sind deshalb auch für eine unabhängige Notenbank. Diese deutsche Stabilitätskultur gilt es in Europa einzubringen.

Frage: Mit dieser irrationalen Angst vor Inflation stehen wir weltweit allerdings ziemlich allein da. Passt der deutsche Gencode noch ins 21. Jahrhundert?

BRÜDERLE: Mehr denn je. Nur mit Stabilität und Solidität werden wir die Situation meistern und Europa Zukunftschancen ermöglichen.

Frage: Die Bundesbank hat gerade den Plan der Franzosen kassiert, die Goldreserven für eine Erweiterung des europäischen Rettungsschirmes einzusetzen. Das kann man gutheißen als Bollwerk der Stabilität oder geißeln als Ignoranz vor der Bedrohung.

BRÜDERLE: Ich kann die Haltung der Bundeskanzlerin nur nachdrücklich unterstützen: Die deutschen Goldreserven müssen unangetastet bleiben. Dieses Sicherheitspolster haben wir uns über Jahrzehnte aufgebaut und unseren Goldschatz werden wir nicht versilbern. Stattdessen geht es darum, den ESM zu einem Stabilitätspakt II zu machen - mit klaren Sanktionsmechanismen und der festverankerten Unabhängigkeit der Notenbanken.

Frage: Und wer kontrolliert dann den Stabilitätsmechanismus?

BRÜDERLE: Die FDP hat sich schon beim Bankenrettungsschirm, damals noch in der Opposition, erfolgreich für eine Beteiligung des Parlaments eingesetzt. Die müssen wir nun auch auf europäischer Ebene stärken und prüfen, ob eine solche Kontrollinstanz beim Europaparlament benötigt wird. Klar ist, dass wir als Bundestag nicht weniger Kontrollrechte akzeptieren als bei der EFSF.

Frage: Das klingt alles gut, hat aber mit der gelebten Realität wenig zu tun. Derzeit füttern die Deutschen all jene, die bis heute über ihre Verhältnisse gelebt haben. Und die FDP trägt eine solch anti-liberale Politik auch noch mit.

BRÜDERLE: Moment, Deutschland hat in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderes Land von Europa profitiert. Knapp zwei Drittel unserer Exporte gehen in die europäischen Nachbarländer. Die FDP war immer Europapartei in der Tradition Hans-Dietrich Genschers und Walter Scheels. Und das ist auch kein Widerspruch zu unserer ordnungspolitischen Überzeugung.

Frage: Für die Liberalen hat sich diese Einsicht bislang nicht ausgezahlt.

BRÜDERLE: Ordnungspolitik funktioniert nicht mit Blick auf die nächste Regionalwahl. Ich verliere lieber eine Wahl als meinen ordnungspolitischen Kompass. Wir müssen dem kurzfristigen Populismus widerstehen und Linie halten. Und wir müssen mit Freiheit maßvoll und vernünftig umgehen. Das klingt vielleicht bieder und ein bisschen grau. Aber es ist der einzig gangbare Weg.

Frage: Die Frage ist nur, ob Sie so noch lange Zeit haben. Im Mai 2012 steht die Wahl in Schleswig-Holstein an. Wenn die FDP da auch noch aus dem Landtag fliegt, können Sie einpacken.

BRÜDERLE: Dass wir in den Umfragen derzeit so schlecht sind, ist für uns alle schwierig. Die FDP muss ihre Kernpositionen, dazu zähle ich Soziale Marktwirtschaft, Bildung und Bürgerrechte, weiter klar konturieren. Nur mit beharrlicher Kärrnerarbeit gewinnen wir verlorenes Vertrauen zurück.

Frage: Jetzt sind wir verwirrt. Sie sagen, die FDP sollte sich auf ihre Kernthemen konzentrieren. Die neue Parteiführung hat dagegen die Parole ausgegeben, sich thematisch breiter und mitfühlender aufzustellen. Was gilt denn jetzt?

BRÜDERLE: Wie gesagt: Gerade in unsicheren Zeiten brauchen die Menschen Klarheit. Natürlich müssen wir auch an soziale Themen ran und den Leuten vermitteln, dass es uns um Ausgewogenheit in der Gesellschaft geht.

Frage: Also doch Säusel-Liberalismus...

BRÜDERLE: Nein. Mit dem Begriff kann ich nichts anfangen. Liberalismus ist für mich umfassend und sollte nicht verwässert werden.

Frage: Eines Ihrer harten Lieblingsthemen ist Steuersenkung. Und das hat die FDP beim letzten Koalitionsgipfel auch durchsetzen können. Dafür mussten Sie akzeptieren, dass die CSU ihr Betreuungsgeld bekommt, die sogenannte Herdprämie. War das die Sache wert?

BRÜDERLE: In einer Koalition müssen Sie Kompromisse schließen. Es bleibt bei unserem Dreiklang: Wir konsolidieren, wir entlasten und wir investieren. Damit sind wir in der Vergangenheit gut gefahren und haben das Wachstum beschleunigt. Diesen Weg gehen wir konsequent weiter.

Frage: [Die derzeit fast jede Talkshow dominiert.] Keine Partei hält sich zugute, so viel von Wirtschaft zu verstehen wie die FDP. Warum machen Sie aus dieser Kompetenz so wenig?

BRÜDERLE: Also dass die FDP ihre ordnungspolitischen Überzeugungen durchsetzen kann, zeigt doch gerade die Diskussion um die Eurobonds. Wer in Deutschland keine Eurobonds will, kann nur bei einer Partei sicher gehen, dass sie nicht kommen werden - nämlich bei der FDP. Auf dieses Alleinstellungsmerkmal können wir stolz sein. Sicher haben wir in der Vergangenheit auch Fehler gemacht, die uns Vertrauen gekostet haben. Hinzu kommt aber auch, dass wir gegenwärtig eine Krise freiheitlicher Strukturen erleben. Momentan ist bei vielen Menschen die Angst stärker als die Sehnsucht nach mehr Freiheit. Da hat es eine Partei, die für Freiheit und Marktwirtschaft steht, schwerer als andere.

Frage: Sind Sie deshalb nach Fukushima so schnell auf den Anti-Atom-Kurs der Kanzlerin eingeschwenkt? Sie selbst hatten das damals noch als billiges Wahlkampfmanöver bezeichnet.

BRÜDERLE: Eine verantwortungsvolle Regierung muss auf eine Katastrophe wie in Japan reagieren. Das haben wir gemacht. Den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien hatten wir bereits in unserem Energiekonzept beschlossen. Wir haben lediglich das Tempo erhöht. Jetzt muss auch jeder dazu bereit sein, den Ausbau des Leitungsnetzes und den Bau neuer Kraftwerke zu forcieren. Da hat die Regierung noch einiges zu tun. Schön wäre auch, wenn Herr Trittin als alter Kernenergiegegner mitkämpft für neue Hochspannungsleitungen. Sonst können wir die Windenergie nämlich nicht vom Norden in die Verbrauchszentren im Süden schaffen.

Frage: Es gibt Experten, die behaupten, die Bundesregierung habe keinerlei Masterplan für die Energiewende.

BRÜDERLE: Da wird viel behauptet. Das Netzausbaubeschleunigungsgesetz habe ich als Wirtschaftminister ja noch selbst auf den Weg gebracht. Nach meinem Geschmack könnten die Entscheidungen über den Leitungsbau noch weiter verkürzt werden, ähnlich wie nach der Wiedervereinigung. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann jedenfalls sollte schnell eine Strategie vorlegen, wie er die nötigen Hochspannungsleitungen baut und gleichzeitig die Schönheit des Schwarzwalds erhält. Nicht mehr und nicht weniger ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe.

Frage: Da sich Ihre Partei mit dem Atomausstieg so schnell angefreundet hat, finden Sie sicher auch die letzte Kehrtwende der Kanzlerin gut, die Einführung eines Mindestlohns?

BRÜDERLE: Innerhalb einer Partei kann man alles diskutieren und beschließen. Auf die aktuelle Regierungspolitik hat das erst einmal keinen Einfluss. Im Koalitionsvertrag gibt es eine klare Absage an Mindestlöhne. Wenn wir in zwei Jahren wieder mit der Union über eine Koalition verhandeln, kann sie das Thema gerne einbringen.

Frage: Warum tut sich Schwarz-Gelb nur so schwer mit dem Regieren? Das lässt sich doch nicht alles auf die Finanzkrise schieben, mit der musste schon die große Koalition leben.

BRÜDERLE: Anfangs gab es sicher die ein oder andere atmosphärische Störung. Ich kann nur sagen, dass ich mit meinen Kollegen Volker Kauder und Gerda Hasselfeldt sehr gut zusammenarbeite. Wir alle wollen den Erfolg und das zeigen auch die jüngsten Beschlüsse

Frage: Sie wollen als FDP künftig mehr Kante zeigen und trotzdem mit der Union harmonieren. Wie soll denn das gehen?

BRÜDERLE: Man kann sehr wohl Kante zeigen, nur sollte man diese Gespräche hinter geschlossenen Türen führen. Man muss nicht jeden Schriftsatz, jeden Einfall und jeden noch so kleinen Dissens immer sofort in die Öffentlichkeit tragen. Wichtig ist auch: Wer gemeinsam Beschlüsse fasst, muss diese auch gemeinsam umsetzen. Das ist Demokratie.

Frage: Einer, der in den eigenen Reihen gerade Kante zeigt, ist Ihr Parteifreund Frank Schäffler. Der droht mit seinem Mitgliederentscheid die Partei zu spalten.

BRÜDERLE: Alle in der FDP wollen ein stabiles Europa. Wir sind uns aber mit Herrn Schäffler nicht einig über den Weg dorthin. Er bietet nämlich keine Lösung an. Vereinfacht sagt er, lasst die Banken kaputtgehen, wir garantieren für die Spareinlagen. Das käme einem Super-Rettungsschirm gleich, der uns viele Billionen kosten würde. Wer soll das bezahlen?

Frage: Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel hat in einem offenen Brief alle FDP-Mitglieder zur Rebellion gegen die Führung aufgerufen. Auch Henkel steht Ihrer Partei nahe. Wie fühlt es sich an, wenn einen die eigenen Leute boykottieren?

BRÜDERLE: Demokratie lebt von den Meinungen vieler. Herr Henkel kann selbstverständlich seine Meinung zu unserer Politik äußern. Er war aber nie Mitglied der FDP.

Frage: Aber Sympathisant. Was passiert, wenn die beiden sich mit ihrem Vorstoß durchsetzen?

BRÜDERLE: Jeder Abgeordnete entscheidet frei nach seinem Gewissen. Es gibt kein imperatives Mandat.

Frage: Das heißt, der Mitgliederentscheid ist Ihnen völlig egal?

BRÜDERLE: Wir nehmen das Verfahren ernst. Der Mitgliederentscheid fließt in die Entscheidung eines jeden Abgeordneten mit ein. Aber er hat formal keine rechtliche Bindung für die Abgeordneten. Denn es gibt laut Verfassung kein imperatives Mandat.

Frage: Eine persönliche Frage zum Schluss. Sie galten noch vor kurzem als Auslaufmodell in Ihrer Partei. Angesichts der mangelnden Autorität der neuen Führung sind Sie für einige inzwischen der heimliche Vorsitzende. Spürt man da nicht so etwas wie Genugtuung?

BRÜDERLE: Nein, dafür gibt es keinen Anlass. Politik ist ein Mannschaftsspiel. Dazu gehört, dass jeder auf der Position spielt, wo er am meisten gebraucht wird. Mir macht meine Arbeit als Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion viel Freude.

Download der gesamten Pressemitteilung im PDF-Format:
1044-Bruederle-Interview-Capital.pdf (2011-11-17, 126.05 KB)


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